Die wichtigsten Empfehlungen der neuen Leitlinie Zöliakie und ihre Bedeutung für die tägliche Praxis
Interview mit Frau Dr. Petra Zantl, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Konstanz
Welches sind aus Ihrer Sicht die für Hausärztinnen und -ärzte wichtigsten Empfehlungen der neuen Leitlinie?
Dr. Zantl: Für mich gibt es hier zwei wesentliche Punkte. Zum einen wurde mit der Neufassung der Leitlinie das Spektrum oder die Voraussetzungen, unter denen nach einer Zöliakie gesucht werden soll, extrem erweitert. Zöliakie kann sich durch eine Vielzahl gastrointestinaler oder extraintestinaler Beschwerden zeigen oder auch symptomlos bleiben, und das wird in der neuen Leitlinie sehr ausführlich und auch sehr konkret beschrieben. Im Prinzip ist es so, dass es kein klinisches Bild gibt, bei dem eine Zöliakie grundsätzlich ausgeschlossen werden kann. Wir sollten sie also als Möglichkeit im Hinterkopf haben.
Zum anderen haben wir jetzt im Gegensatz zur vorherigen Fassung klare Angaben zum Monitoring. Die Leitlinie gibt eindeutige Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Patienten mit Zöliakie. Hat z.B. jemand eine subklinische Zöliakie, also zöliakiespezifische Laborwerte, aber keine klinische Symptomatik, so soll auch dieser Patient in regelmäßigen Abständen beobachtet und einbestellt werden. Das ist zwar eigentlich naheliegend, war aber bislang nicht konkret formuliert. Auch besagt sie eindeutig, dass Kinder und Jugendliche, bei denen eine Zöliakie ohne Dünndarmveränderungen vorliegt, dennoch eine glutenfreie Diät einhalten sollen. Sonst könnten Wachstumsminderungen oder Entwicklungsverzögerungen die Folge sein.
Die neue Leitlinie ist viel detaillierter in ihren Aussagen und Empfehlungen. So soll z.B. auch aufgrund des wahrscheinlich höheren Infektionsrisikos für Pneumokokken bei Zöliakiebetroffenen eine Pneumokokkenimpfung durchgeführt werden. Zudem sollten wir insbesondere bei Patienten (auch männlichen) ab 50 Jahren regelmäßig die Knochendichte messen. Wir finden jetzt also sehr konkrete Handlungsempfehlungen, die wir in der Form meines Erachtens vorher nicht hatten.
Wie kann die neue Leitlinie in der Hausarztpraxis dazu beitragen, dass die Zöliakie frühzeitig erkannt wird?
Dr. Zantl: Was mit der neuen Leitlinie sehr deutlich wird: Aufgrund der Variabilität müssen wir auch bei Krankheitsentitäten, bei denen man nicht primär an eine Zöliakie denken würde, eine solche in Betracht ziehen, und einen entsprechenden Labortest durchführen. Gerade in unklaren Fällen sollte im Rahmen der dann meist durchführten Labordiagnostik auch ein Ausschluss einer Zöliakie stattfinden.
Das mögliche Spektrum an Symptomen oder Erkrankungen ist natürlich sehr breit. Doch die Leitlinie bietet hier Orientierung, indem sie konkrete Anzeichen benennt. Die genaue Benennung und die definitiven Empfehlungen können aus meiner Sicht dazu beitragen, der Zöliakie früher auf die Spur zu kommen. Viele von uns denken bei Zöliakie nur an den Symptomkomplex Bauch, also Bauchschmerzen, Blähungen oder Durchfälle. Weniger bekannt ist wahrscheinlich, dass sich auch hinter einer unklaren Fettleber oder einer Depression eine Zöliakie verbergen kann.
Dadurch, dass Zöliakie zumindest im ersten Schritt so leicht zu diagnostizieren ist, sollte man die Abklärung eigentlich großzügig mitlaufen lassen.
Auf welche Symptome sollen Hausärztinnen und -ärzte in der täglichen Praxis achten und wann sollten sie eine Zöliakie-Diagnostik einleiten?
Dr. Zantl: Achten sollte man vor allem auf unklare Bauchbeschwerden, die länger als 4 Wochen andauern, erhöhte Leberwerte (Transaminasen) sowie Mangelsymptome. Gerade wenn jemand Eisenmangel, B-12-Mangel oder Folsäuremangel aufweist, und nicht klar ist, woher dieser Mangel resultiert, sollte abgeklärt werden, ob eine Zöliakie hinter den Beschwerden steckt.
Auch wenn es tatsächlich schwierig ist, jede Eventualität zu bedenken, möchte ich als mögliche Beschwerden, hinter denen sich eine Zöliakie verbergen kann, die ungeklärte Fettleber, unerfüllten Kinderwunsch, Aborte, Osteoporose, Gelenksentzündungen/-schmerzen sowie affektive Störungen erwähnen. Bei diesen Anzeichen oder Erkrankungen, vor allem wenn die Ursache unklar bleibt, sollte eine Zöliakie-Diagnostik erwogen und eingeleitet werden.
Detailliert aufgeschlüsselt lässt sich das in der Leitlinie nochmal gut nachlesen.
Aus welchen Schritten besteht die Zöliakie-Diagnostik? Was ist dabei zu beachten?
Dr. Zantl: Der erste Schritt ist eine Blutuntersuchung. Man bestimmt die IgA-Antikörper gegen Gewebstransglutaminase 2 (tTG-IgA) sowie zusätzlich immer noch das Gesamt-IgA im Serum. Stellt sich dabei ein IgA-Mangel heraus, dann wird zum Beispiel auf Transglutaminase IgG oder andere Parameter ausgewichen. Der Standard-Laborparameter ist jedoch der Transglutaminase-Antikörper IgA. Bei auffälligem Befund erfolgt im nächsten Schritt eine Ösophagogastroduodenoskopie, bei der die Histologien entnommen werden. Bei erhöhten zöliakiespezifischen Autoantikörpern zusammen mit Marsh-2- oder Marsh-3-Läsionen der Darmschleimhaut gilt die Diagnose dann als gesichert.
Sind die Antikörper dagegen negativ, kann eine Zöliakie weitgehend ausgeschlossen werden.
Äußerst wichtig für eine korrekte Diagnose ist, dass sich die Patienten bis zur Diagnostik glutenhaltig ernähren. Die Patienten müssen also gefragt werden, wie die bisherige Ernährung aussah – ob Gluten konsumiert wurde oder nicht. Oftmals kommen nämlich Patienten in die Praxis, die bereits im Selbstversuch seit einigen Wochen oder Monaten auf Gluten verzichten. Dann müssen wir die Patienten leider bitten, sich erneut Gluten auszusetzen, auch wenn sie bereits eine Verbesserung ihrer Symptome berichten. Denn nur unter einer Glutenbelastung von täglich ca. 10 g Gluten über 3 Monate hinweg kann eine leitliniengerechte Diagnostik durchgeführt werden.
Will sich ein Patient nach längerer glutenfreier Ernährung keiner erneuten Glutenzufuhr aussetzen, kann nur die genetische Disposition getestet werden. Wir können dann zwar sagen, dass bei Nichtvorliegen der Disposition eine Zöliakie nahezu ausgeschlossen ist. Umgekehrt bedeutet die Disposition jedoch nicht, dass definitiv eine Zöliakie vorliegt. In so einem Fall kommen wir zu keinem sicheren Ergebnis.
Der Patient sollte daher dringend motiviert werden, sich noch einmal Gluten auszusetzen, um zu einer sicheren Diagnose zu gelangen. Gerade auch, weil wir es hier mit einer Diagnose zu tun haben, die lebenslang besteht und eine dauerhafte Umstellung der Ernährung erfordert.
Welche Empfehlungen sollten in der Hausarztpraxis an Betroffene vermittelt werden, um ihnen eine glutenfreie Ernährung zu erleichtern?
Dr. Zantl: Ich sage meinen Patienten immer, dass sich in den letzten Jahren sehr viel im Bereich glutenfreier Nahrungsmittel getan hat. Wir haben mittlerweile eine ganze Reihe an glutenfreien Produkten auf dem Markt, von Herstellern wie Dr. Schär oder auch anderen, die im Supermarkt erhältlich sind. Bei diesen glutenfreien Labeln können Betroffene sicher sein, dass sie die Produkte bedenkenlos zu sich nehmen können. Zudem sollten Patienten auf die durchgestrichene Ähre hingewiesen werden, die Lebensmittel als glutenfrei kennzeichnet.
Vor allem am Anfang erleichtert es den Einstieg, sich zunächst auf Produkte wie die von Dr. Schär zu konzentrieren. Die Patienten sollten sich dann mit glutenfreier Ernährung auseinandersetzen, was das bedeutet, was erlaubt ist und was nicht. Damit die Umstellung gelingt, empfehle ich meinen Patienten, sich bei der DZG (Deutsche Zöliakie-Gesellschaft) anzumelden. Diese bietet Informationsmaterialien und Ernährungsberatungswochenenden – sowohl für Kinder und ihre Familien als auch für Erwachsene. Das ist sehr hilfreich, da die Betroffenen erfahren, auf was sie beim Einkaufen, Kochen oder auch Restaurantbesuch achten müssen, und wie sie sich trotz Zöliakie ausgewogen und ballaststoffreich ernähren können.
Um zu schauen, ob die glutenfreie Diät zu einer Verbesserung führt bzw. auch wie gut die Patienten zurechtkommen, monitore ich meine Patienten anfangs alle 6 Monate, bei guter Einstellung später weiter jährlich – oder dann, wenn sie eine Verschlechterung ihrer Beschwerden erleben.
Die Leitlinie betont die Bedeutung einer professionellen Ernährungsberatung für alle diagnostizierten Patienten. Wie können Hausärzte diese sicherstellen?
Dr. Zantl: Professionelle Ernährungsberater gibt es leider nicht so viele. Zudem muss man erwähnen, dass die Ernährungsberatung bei Zöliakie nicht immer von der Krankenkasse übernommen wird und dann von den Betroffenen selbst bezahlt werden muss. Das ist nicht immer einfach oder machbar.
Ich persönlich mache daher erst den Versuch über die DZG und deren Anlaufstellen. Dort finden Betroffene speziell in der glutenfreien Ernährung geschulte Ernährungsfachkräfte und erhalten Schulungen sowie ausführliche Einzelberatungen. Es gibt Ansprechpartner die sie bei Fragen oder Problemen anrufen können.
In Fällen, bei denen diese Unterstützung nicht ausreicht oder es einfach nicht klappen will mit der glutenfreien Ernährung, braucht es natürlich zusätzliche Hilfe durch eine individuelle Ernährungsberatung vor Ort.