Magen-Darm-Erkrankungen stellen einen erheblichen Anteil an der täglichen Arbeit von Hausarztpraxen. Aufgrund der oft unspezifischen Beschwerdebilder und der Vielfalt der in Frage kommenden Krankheiten erscheint die Diagnosestellung häufig nicht einfach. Wie die Diagnose und Abgrenzung insbesondere des Reizdarms mit einigen klar definierten Schritten gelingen kann, erläuterten Expert:innen bei einer Online-Veranstaltung von Dr. Schär.
Mit 10-15 % der weltweiten Prävalenz zählt der Reizdarm zu den häufigsten funktionellen Darmerkrankungen. Dabei tritt ein breites Spektrum unterschiedlicher Darmsymptome auf, von denen abdominelle Schmerzen und Krämpfe oft diejenigen sind, die die Betroffenen besonders belasten. Die am häufigsten auftretenden Anzeichen sind nach Erfahrung von Prof. Dr. Martin Storr, Gauting, eine inkomplette Entleerung, Symptombesserung mit dem Stuhlgang und Meteorismus. „Treten diese drei auf, hat dies bereits eine hohe Vorhersagekraft für die Reizdarm-Diagnose“, erklärte der Gastroenterologe.
Mit einfachen Schritten zur Differenzialdiagnose
Laut geltender S3-Leitline der DGVS gelten drei Kriterien als Definition für den Reizdarm: Beschwerden mit Stuhlgangsveränderungen über 3 Monate, Beeinträchtigung der Lebensqualität, keine andere identifizierte Ursache der Beschwerden. An erster Stelle steht daher eine gründliche Differentialdiagnose, um andere Erkrankungen als mögliche Ursache auszuschließen. „Die Reizdarm-Diagnostik ist relativ einfach und folgt einem klaren Algorithmus“, betonte Storr. Dazu gehören eine körperliche und rektale Untersuchung, die kleine Basis-Laboruntersuchung, der Ultraschall des Abdomens und bei Frauen zusätzlich eine Vorstellung beim Gynäkologen. Nur beim Durchfall-dominierten Typ schließt sich noch eine endoskopische Darmuntersuchung an, um mögliche entzündliche oder onkologische Erkrankungen als Ursache auszuschließen. „Werden bei diesen Schritten keine Auffälligkeiten festgestellt, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Reizdarmsyndrom vor“, so Storr.
Zöliakie und Gluten-/Weizensensitivität ausschließen
Aufmerksamkeit verdienen laut Storr mögliche Überlappungen des Reizdarms mit anderen Erkrankungen, die nicht übersehen werden sollten. Hier spielen vor allem Nahrungsmittelunverträglichkeiten eine Rolle wie die Laktose- oder Fruktose-Malabsorption oder getreideassoziierte Erkrankungen wie die Autoimmunerkrankung Zöliakie, die Gluten-/Weizensensitivität und die Weizenallergie. Diese sollten daher im Rahmen der Diagnostik ausgeschlossen werden. Atemtests zum Ausschluss der Laktose- und Fruktose-Malabsorption sind dann sinnvoll, Zöliakie und Weizenallergie können per Blutuntersuchung auf spezifische Biomarker relativ einfach ausgeschlossen werden. Bei der Gluten-/Weizensensitivität ist es ein Auslassversuch mit anschließender Belastungsprobe, die auf die Spur führen können.
Steht die Diagnose fest, schließt sich die Therapie des Reizdarms an, die je nach Beschwerdebild und auslösenden Faktoren individuell zugeschnitten wird. Laut Erfahrungen von Prof. Storr erwarten Patienten häufig eine genaue Auflistung der Lebensmittel, die für sie verträglich oder ungeeignet sind – eine Erwartung, die der Behandler häufig nicht erfüllen kann. „Hier gilt es, die Eigenverantwortung der Patienten zu stärken, die aktiv daran mitarbeiten müssen, die für sie geeignete Ernährungsweise zu ermitteln“, sagte der Gastroenterologe. Storr empfiehlt, die Patienten dazu für einige Zeit ein Ernährungs- und Beschwerdetagebuch führen zu lassen. Dadurch wird deutlich, welche Lebensmittel für den Patienten verträglich sind.
Wachsamkeit und langer Atem erforderlich
Bei der Behandlung des Reizdarms in der Hausarztpraxis gilt es, einen langen Atem zu behalten, denn der Reizdarm ist nicht heilbar und es kommt im Verlauf der Therapie nicht selten zu einem Auf und Ab der Befindlichkeit bei den Patienten, hat Dr. Petra Zantl, Allgemeinärztin in Konstanz, in ihrer Praxis erfahren. „Auch bei langen Verläufen gilt es, immer wachsam zu bleiben“ erklärte Zantl, denn: „Es kann jederzeit zu interkurrenten Zusatzerkrankungen wie beispielsweise einer Gastritis kommen, die dann ebenfalls behandelt werden müssen“. Neben einer professionellen Ernährungsberatung kann für Reizdarm-Patienten aus Erfahrung von Zantl in bestimmten Fällen auch eine psychologische Beratung sinnvoll sein, denn etwa die Hälfte der Betroffenen weist psychische Komorbiditäten auf.
Professionelle Beratung zur verträglichen Langzeit-Ernährung
Da es keine Standard-Empfehlungen für die Therapie des Reizdarms gibt und die Ernährung sehr individuell geplant werden muss, können Patienten damit alleine schnell überfordert sein, erklärte Birgit Blumenschein, Diätassistentin in Münster. „Deshalb ist es nicht mit einer einmaligen Ernährungsberatung getan, sondern es bedarf einer längeren Begleitung der Betroffenen“, so die Expertin. Im Rahmen der Ernährungstherapie wird den Patienten vermittelt, wie sie die per Tagebuch identifizierten individuellen Trigger für einen bestimmten Zeitraum meiden, anschließend durch vorsichtiges Wiedereinführen die für sie tolerable Menge ermitteln und auf dieser Basis zu einer verträglichen Langzeit-Ernährung finden. Helfen können die Einnahme löslicher Ballaststoffe, das Reduzieren FODMAP-reicher Lebensmittel (FODMAP = fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole), manche Patienten profitieren auch von einer glutenfreien Ernährung. „Dabei handelt es sich jedoch nicht um dauerhafte Maßnahmen, sondern um zeitlich begrenzt eingesetzte Hilfen auf dem Weg zu einer verträglichen Ernährung“, betonte Blumenschein.
Quellenangabe
1 Aktualisierte S2k-Leitlinie Zöliakie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), Dezember 2021, unter https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-021l_S2k_Zoeliakie_2021-12_1.pdf
2 Deutsche Zöliakie-Gesellschaft. Was ist Zöliakie, unter https://www.dzg-online.de/was-ist-zoeliakie.
3 Wittkamp P. et al. Z Gastroenterol 2012. 50 – V36.
4 Altobelli E. et al. 2017. Low-FODMAP Diet Improves Irritable Bowel Syndrome Symptoms: A Meta-Analysis. Nutrients, 9 (9).