Die derzeit einzig wirksame und evidenzbasierte Therapie der Zöliakie ist die glutenfreie Diät (GFD)[1]. Die Umstellung von glutenhaltiger zu glutenfreier Kost klingt einfach, weil diese durch viele verfügbaren, glutenfreien (Pseudo)Getreide und Produkte unterstützt wird. Die Adhärenz zur GFD liegt gemäß Studienergebnissen jedoch nur bei 23 – 98 % bei Kindern und Jugendlichen und bei 42 – 91 % bei Erwachsenen[2,3].
Die hohe Zahl derer, die die GFD nicht oder nur bedingt einhalten bzw. umsetzen, bedarf der Aufmerksamkeit. Was hindert die Betroffenen an der konsequenten Umsetzung der GFD? Welche Potenziale können und müssen in der Ernährungsberatung genutzt werden, damit diese Adhärenz gesteigert wird? Wie können die Betroffenen die GFD noch besser in ihr Leben integrieren – darum ging es im Vortrag von Birgit Blumenschein, Diätassistentin und Dipl. Medizinpädagogin auf dem diesjährigen Kongress des Bundesverbandes der Diätassistenten.
Zöliakiepatient*innen beschreiben ihre Ernährungssituation in Beratungen häufig als (zu) kompliziert in der Umsetzung, teuer sowie wenig flexibel und spontan im sozialen Alltag. Sie fühlen sich ausgegrenzt und mit Verzicht konfrontiert. Einschränkungen in der flexiblen Lebensmittel- und Speisenauswahl, inhouse wie außer Haus, beeinflusse ihre Lebensqualität oft so stark, dass sie die Adhärenz der GFD verringern, wider besseres Wissen. Ihre Alltagssorgen in Bezug auf Kontaminationsrisiken, Mehraufwand durch unterschiedliche (glutenfreie und glutenhaltige) Kochpraxis, potenzielle „Glutenunfälle“, der Unsicherheit über vielleicht selbst gesteuerte Auslöser beim Ausbruch der Krankheit, zwischenmenschliche Berührungen (Küsse) und vieles mehr scheinen die Compliance zur GFD stark zu beeinflussen, mitunter nicht nur positiv. Die (oft trendorientierte) Diskussion über mögliche Mangelerscheinungen der Menschen ohne Zöliakie, wenn sie glutenfrei essen, unterstreicht die Besorgnis der Zöliakie-Betroffenen, die dies ja für den Rest ihres Lebens durchführen sollen.
Moderne und qualifizierte Ernährungsfachkräfte1 greifen diese Sorgen, Ängste, den Frust und oft Schock nach der Diagnose auf und „holen die Betroffenen und deren Angehörige dort ab, wo sie stehen“. Durch eigeninitiierte Internetrecherche, Vorab-Info von Ärzt*innen, dem Hören-Sagen durch Bekannte und viele Apps kursieren bei den Zöliakie-Betroffenen viele, teilweise widersprüchliche und angsteinflößende Emotionen, die von Enttäuschung, Depression, Verlustangst bis hin zur Leugnung (auch vor sich selbst) reichen. Und diese verringern die Adhärenz bzw. Compliance zur GFD. Zeitgemäße Ernährungsberatung und -therapie unterstützt und reflektiert die Entwicklung positiver Emotionen. Betroffene nehmen dadurch den Benefit einer GFD wahr, und dies steigert ihre Compliance.
Ernährungsberatung für alle Altersgruppen
In der Ernährungsberatung für alle Altersgruppen gilt die individuelle und abgestimmte empathische Hilfe/Unterstützung, um
- glutenhaltige und glutenfreie Lebensmittel zu differenzieren,
- Zubereitungs-/Backmöglichkeiten zu kennen und über Besonderheiten Bescheid zu wissen,
- über Kontaminationsrisiken aufgeklärt zu sein und diese einschätzen zu können,
- Hilfe zu erhalten, potenzielle Mangelzustände zu beheben/zu verhindern,
- viel über genussvolles Leben mit der gf Ernährung zu erfahren und zu erleben und damit
- langfristig beschwerdefrei zu sein.
Ernährungsberatung bei Kleinkindern/Kindern/Schulkindern
Besonderheiten treten in verschiedenen Altersgruppen mit ihren unterschiedlichen Bedarfen auf. Dies bezieht sich z.B. bei Kleinkindern/Kindern/Schulkindern auf
- die Schulung aller Bezugspersonen: Eltern, Großeltern, Erzieher*innen, Lehrer*innen, Babysitter*innen, Tageseltern, Köch*innen in Kita/Schule u.v.m
- das möglichst frühe und kindgerechte einbeziehen der Kinder/Betroffenen selbst (Bilderbücher),
- Kindergarten-/Schulfeste, Ferienlager,
- Spiel- und Bastelmaterial (Knete, Malstifte, Malkreide, Fingerfarben, Kleister, Ostereierfarbe, Salzteig),
- Pflegeartikel (Badezusätze, Shampoo, Lippenpflegeprodukte, Handcreme).
Ernährungsberatung bei Jugendlichen
Bei Jugendlichen bezieht moderne Ernährungstherapie mit ein deren
- Peergroup-Einflüsse (in welchen Bereichen fühlen sich die Jugendlichen eingeschränkt),
- „spontane“ Freizeitgestaltung / Wochenendaktivitäten, Reisen, Übernachtungen bei Freunden,
- Essen gehen (Fast-Food-Restaurant) sowie
- gemeinsames Kochen und Backen mit Freunden, Koch-/Backkurse
Ernährungsberatung bei Erwachsenen
Bei den Erwachsenen wird die Adhärenz gesteigert, wenn in der Beratung folgende Themen besprochen werden:
- Mahlzeitengestaltung im Arbeitsalltag (Kantine, Ideen für Meal prep)
- Einladungen, Information von Freunden und Familie
- (Familien-)Feste
- Urlaubsplanung im Hotel oder in der Ferienwohnung
- Restaurantbesuche (Bitte an Köch*innen, Adressen von geeigneten Restaurants, Kontaminationsrisiken).
Ernährungsberatung bei Senior*innen
- beim Lesen der Zutatenliste (kleine Schrift)
- in der Speisenzubereitung, die ggf. nicht mehr eigenständig möglich ist
- einem evtl. unzureichende Verständnis für die Erkrankung
- den Änderungen von Gewohnheiten, das fällt oft schwerer
- der Freizeitgestaltung („Kaffeetrinken“, Ausflüge, Besuch bei Freund*innen)
- bei Gottesdienstbesuchen und den Hostien
- im Urlaub (Kreuzfahrten, Busreisen, Hotelaufenthalt)
- im Zusammenhang mit Mahlzeitenlieferung und bei
- Alternativen für Lieblingsrezepte.
Neben der elementaren GFD ist heutzutage das Wichtigste in der Ernährungsberatung und -therapie die Steigerung der Adhärenz/Compliance zur GFD. Dabei „ist viel wichtiger zu wissen, welche Art von Person die Krankheit hat, als welche Art von Krankheit die Person hat“ – das war schon die Überzeugung von Hippocrates.
Quellenangabe
1 Felber et al.: Aktualisierte S2k-Leitlinie Zöliakie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS). 2021
2 Myléus A, Reilly NR, Green PHR, Rate, Risk Factors and Outcomes of Nonadherence in Pediatric Patients with Celiac Disease: a Systematic Review, Clinical Gastroenterology and Hepatology (2019), doi: https://doi.org/10.1016/j.cgh.2019.05.046
3 Hall NJ, Rubin G, Charnock A. Systematic review: adherence to a gluten-free diet in adult patients with coeliac disease. Aliment Pharmacol Ther 2009; 30:315-30