Katie Kennedy, MNutr RD Company Dietitian, Dr. Schär UK
Nach wie vor ist ein lebenslanger strikter Glutenverzicht der Eckpfeiler der Zöliakiebehandlung. Darüber hinaus ist die glutenfreie Ernährung eine Behandlungsoption für Menschen mit einer Gluten-/Weizensensitivität (1) und seit Kurzem wird sie auch als mögliche Behandlungsoption für Patienten mit Diarrhoe dominantem Reizdarmsyndrom (RDS) diskutiert (2).
Für die Allgemeinbevölkerung wird eine glutenfreie Ernährung jedoch nicht empfohlen und es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sie einen klinischen Nutzen für Menschen haben könnte, die nicht unter Symptomen leiden, die einer Gluten-/Weizensensitivität zurechenbar sind. Zahlreiche Lebensmittel sind von Natur aus glutenfrei und liefern einen wesentlichen Beitrag zur Energiezufuhr unter einer glutenfreien Ernährung. Grundnahrungsmittel wie Fleisch, Fisch, Eier, Milchprodukte, Obst, Gemüse, Nüsse, Hülsenfrüchte und glutenfreie Getreidesorten bzw. Pseudocerealien, zum Beispiel Reis, Buchweizen und Quinoa, lassen sich je nach individuellem Geschmack problemlos in eine glutenfreie Ernährung integrieren. Um die Energiezufuhr aus diesen Lebensmitteln zu ergänzen, steht Verbrauchern in Deutschland eine stetig wachsende Auswahl an glutenfreien Spezialprodukten zur Verfügung, die nahezu alle glutenhaltigen Produkte von Brot, Nudeln, Snacks und Keksen bis hin zu Fertiggerichten ersetzen können.
Nährstoffversorgung bei der glutenfreien Ernährung
Die zunehmende Popularität der glutenfreien Ernährung und die Erkenntnis, dass eine glutenfreie Diät nicht nur für Patienten mit Zöliakie einen klinischen Nutzen haben kann, haben dazu geführt, die ernährungsphysiologischen und gesundheitlichen Vorteile und Auswirkungen der glutenfreien Diät genauer zu untersuchen. Dies wiederum löste ein großes Medieninteresse aus, das sich mehrheitlich in einer eher negativen Berichterstattung niederschlug. So gibt es zahlreiche Beiträge, die berichten, dass Patienten unter strikt glutenfreier Ernährung (zum Beispiel Zöliakiepatienten) unter Mangelernährung und einer suboptimalen Versorgung mit wichtigen Mikronährstoffen, einschließlich Ballaststoffen, Calcium und Eisen, leiden können (3,4). In diesem Zusammenhang wurde jedoch auch darauf hingewiesen, dass eine genaue Analyse – insbesondere der Versorgung mit Mikronährstoffen – innerhalb dieser Patientenpopulation mangels vorliegender ernährungsphysiologischer Daten zu glutenfreien Spezialprodukten schwierig ist (5). Zum Teil scheinen die Ergebnisse im Widerspruch zu den jüngsten Nährstoffanalysen zu stehen, in denen glutenfreie mit glutenhaltigen Lebensmitteln verglichen wurden. Fry et al. untersuchten den Nährstoffgehalt von annähernd 700 glutenfreien Lebensmitteln und wiesen nach, dass der mediane Ballaststoffgehalt in den untersuchten glutenfreien Weißbroten und Mehrkornbroten/Vollkornbroten signifikant höher lag als bei den glutenhaltigen Vergleichsproben (6). Es drängt sich der Eindruck auf, dass die mit einer glutenfreien Ernährung assoziierte Mangelernährung vielmehr mit schlechten Ernährungsgewohnheiten zusammenhängen könnte als mit dem Nährstoffprofil bestimmter glutenfreier Spezialprodukte, die einen nicht definierten Anteil der Energiezufuhr von Konsumenten unter glutenfreier Ernährung ausmachen. Während ein kürzlich durchgeführter Review zur ernährungsphysiologischen Eignung einer glutenfreien Diät im Kindesalter eine unzureichende Versorgung mit Fett, Ballaststoffen, Eisen, Calcium und Vitamin D feststellte, waren nur wenige der in diesen Review einbezogenen Studien in der Lage, diesbezüglich einen signifikanten Unterschied zwischen Kindern unter glutenfreier Diät und Kindern unter normaler Ernährung festzustellen (7). Dies zeigt, dass Strategien erforderlich sind, um nicht nur bei Kindern unter glutenfreier Diät, sondern bei Kindern im Allgemeinen eine ausgewogene Ernährung sicherzustellen.
Eine genaue Untersuchung, welche Nährstoffe mit welchen Lebensmitteln aufgenommen werden, liefert mehr Klarheit bei der Beurteilung einer potenziell unausgewogenen glutenfreien Ernährung. Bei dieser Studie, die den Nahrungsmittelkonsum und die Nährstoffaufnahme von 98 Kindern mit Zöliakie untersuchte und mit einer Kontrollgruppe verglich, die im Hinblick auf Alter, Geschlecht und BMI gematcht war, ergab für beide Gruppen eine vergleichbare Gesamtkohlenhydrataufnahme, stellte in der Zöliakiegruppe jedoch eine signifikant höhere NMES-Zufuhr (extrinsische (Nicht-Laktose-)Zucker) und eine geringere Versorgung mit Stärke und Ballaststoffen fest.(8) In der Gruppe der Kinder mit Zöliakie wurde zudem ein signifikant höherer Verzehr von Fleisch, Fisch und Eierprodukten und eine nicht signifikante Tendenz hin zu gesüßten Getränken verzeichnet.(8) Die individuelle Motivation hinter diesen Beobachtungen ist nicht geklärt, könnte aber mit einer mangelhaften Ernährungserziehung zusammenhängen und mit einem Wunsch, den Verzicht auf offensichtliche Glutenlieferanten über den Verzehr von energiereichen Lebensmitteln zu kompensieren. Der tatsächlich oder als solcher wahrgenommene schlechtere Geschmack und die eingeschränkte Verfügbarkeit von geeigneten stärkehaltigen glutenfreien Ersatzprodukten kann ebenfalls ein Grund für ein unausgewogenes Ernährungsverhalten sein.
Obgleich sich wenige der jüngeren Studien mit der Nährstoffaufnahme von Erwachsenen unter strikt glutenfreier Ernährung beschäftigt haben, deuten die vorliegenden Daten auf eine vergleichbare Tendenz bei Erwachsenen hin. Eine Studie in Großbritannien, welche die Nährstoffaufnahme von erwachsenen Zöliakiepatienten unter glutenfreier Ernährung mit den Daten des National Diet and Nutrition Survey für die Allgemeinbevölkerung in derselben Region verglich, ergab für die Zöliakiegruppe eine höhere Energie- und Makronährstoffzufuhr bei einer geringeren Versorgung mit Ballaststoffen und einer anteilig höheren Kohlenhydratversorgung aus NMES (9). Dieselbe Studie zeigte, dass Frauen mit einer Zöliakie im Vergleich mit Frauen der Allgemeinbevölkerung weniger Magnesium, Eisen, Zink, Mangan, Selen und Folsäure aufnahmen (9). Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die kombinierten Ergebnisse auf einen häufigeren regelmäßigen Konsum weniger wertvoller Lebensmittel, z. B. zuckerhaltige Snacks, in der Zöliakiegruppe hindeuten (9). Vor diesem Hintergrund muss eine klare Forderung lauten, dass alle Menschen mit Zöliakie regelmäßigen Zugang zu einer Ernährungsberatung erhalten, um die für die Allgemeinbevölkerung gesetzten Ziele einer ausgewogenen und gesunden Ernährung zu erreichen.
Über die Zusammenhänge zwischen Glutenaufnahme und möglichen Krankheitsrisiken wurde ebenfalls in den Medien berichtet. Viele Schlagzeilen beschäftigten sich mit der Arbeit von Lebwohl et al. (Columbia University) und ihrer Analyse von Daten aus der Nurses Health Study und der Health Professionals Follow-up Study (11,12). Für diese Analyse standen Daten zu den Ernährungsgewohnheiten von insgesamt fast 200.000 Mitarbeitern im amerikanischen Gesundheitswesen zur Verfügung, die erstmals 1986 und danach alle vier Jahre bis 2010 einen semi-quantitativen validierten Verzehrshäufigkeitenfragebogen (Food-Frequency-Questionnaire) ausgefüllt hatten. Die Glutenaufnahme korrelierte invers (negativ) mit dem Alkohol- und Nikotinkonsum, der Gesamtfettaufnahme und dem Verzehr von unverarbeitetem rotem Fleisch. Die Glutenaufnahme korrelierte positiv mit dem Verzehr von Vollkorn und Weißmehl. Im Hinblick auf das Risiko für die koronare Herzkrankheit (KHK) verzeichnete die Gruppe, deren geschätzte Glutenaufnahme im obersten Fünftel lag, gegenüber den Teilnehmern, deren Glutenaufnahme im untersten Fünftel lag, bereinigt 75 KHK-Neuerkrankungen weniger pro 100.000 Personenjahre. Nach einer Bereinigung um bekannte Risikofaktoren lag die multivariate Hazard Ratio für KHK bei den Teilnehmern, deren geschätzte Glutenaufnahme im obersten Fünftel lag, bei 0,95 (95 % KI; 0,88–1,02; p = 0,29); daraus ergibt sich ein nicht signifikanter Zusammenhang zwischen Glutenaufnahme und KHK-Risiko. Nach zusätzlicher Bereinigung um den Verzehr von Vollkornprodukten (womit die verbleibende Varianz der Glutenaufnahme der Zufuhr von Weißmehl entspricht) lag die multivariate Hazard Ratio bei 1,00 (95 % KI; 0,92–1,09; p = 0,77). Dagegen war nach einer Bereinigung um den Verzehr von Weißmehlprodukten (womit die verbleibende Varianz der Glutenaufnahme der Zufuhr von Vollkorn entspricht) eine höhere geschätzte Glutenaufnahme mit einem signifikant niedrigeren Risiko für KHK assoziiert (multivariate Hazard Ratio 0,85; 0,77–0,93; p = 0,002). Die Autoren der Studie kamen zu dem Schluss, dass der langfristige Verzehr von Gluten nicht mit einem Risiko für die Entwicklung einer KHK assoziiert ist, ein Verzicht auf Gluten jedoch mit einem verringerten Verzehr von gesundheitlich zuträglichen Vollkornprodukten einhergeht und das Risiko für die Entwicklung einer KHK entsprechend beeinflussen kann. Während diese Daten bestätigen, dass eine glutenfreie Ernährung für Menschen, die nicht unter glutenbedingten Symptomen leiden, nicht zu empfehlen ist, muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Studienteilnehmer, deren Glutenaufnahme im untersten Fünftel lag, nicht etwa eine glutenfreie Ernährung befolgten, sondern insgesamt einfach weniger glutenhaltige Lebensmittel verzehrten (nicht zuletzt weil die glutenfreie Diät zu Beginn der Studie kaum bekannt war und über den gesamten Studienverlauf nur von wenigen Teilnehmern befolgt wurde). In einer späteren Arbeit untersuchten Lebwohl et al. den Zusammenhang zwischen Glutenaufnahme und dem Risiko für einen Diabetes mellitus Typ 2 (12). Sie kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie oben beschrieben und zu einer ähnlichen Schlussfolgerung, nämlich dass der reduzierte Verzehr von glutenhaltigen Lebensmitteln mit einem reduzierten Verzehr von ballaststoffreichen Vollkornprodukten einhergehen kann, welche bekannterweise dazu beitragen, das Diabetesrisiko zu senken.
Diese Studie unterstreicht einmal mehr, wie wichtig eine qualitativ hochwertige Ernährungsberatung und -begleitung ist, um bei einer glutenreduzierten oder glutenfreien Diät eine adäquate Ernährung sicherzustellen, indem ballaststoffreiche glutenfreie Lebensmittel und Vollkornprodukte in den Ernährungsplan aufgenommen und die allgemeinen Grundsätze einer gesunden und ausgewogenen Ernährung befolgt werden.
Literatur
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