Ätiologie und Pathogenese des Reizdarmsyndroms (RDS)

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  3. Ätiologie und Pathogenese des Reizdarmsyndroms (RDS)

Über die Ursachen und Risikofaktoren des Reizdarmsyndroms gibt es nach aktuellem Stand der Wissenschaft keine eindeutig validierten Erklärungen. Dementsprechend sind eine genaue Definition des Reizdarmsyndroms sowie die Reizdarm-Diagnose und die Wahl der richtigen Therapie nicht einfach.

Das RDS zeigt eine familiäre Häufung. So ist die Wahrscheinlichkeit eines Reizdarm-Verwandten ebenfalls ein RDS zu entwickeln 2-3 fach erhöht [1]. Es tritt bei Frauen häufiger auf und überwiegt in der zweiten und dritten Lebensdekade im Verhältnis 2:1 [1, 2].

Formen 

Abhängig von den vorherrschenden Symptomen werden vier Formen des Reizdarmsyndroms unterschieden:

  • RDS-D: Reizdarmsyndrom mit führendem Durchfall (diarrhoedominantes Reizdarmsyndrom)
  • RDS-O: Reizdarmsyndrom mit führender Verstopfung (obstipationsdominantes Reizdarmsyndrom)
  • RDS-S: Reizdarmsyndrom mit führenden Schmerzen (schmerzdominantes Reizdarmsyndrom)
  • RDS-M: Reizdarmsyndrom mit gemischtem Stuhlverhalten (z.B. innerhalb eines Tages sowohl Diarrhoe als auch Obstipation)

Die verschiedenen Formen treten häufig in Kombination auf. 

Pathophysiologie des Reizdarmsyndroms

Das RDS kann mit organischen, zellulären, molekularen und/oder genetischen Veränderungen auf allen Ebenen und in allen Komponenten der Darm-Hirn-Achse assoziiert sein. Für die zugrunde liegenden pathologischen Prozesse lieferte die Wissenschaft bisher nur vereinzelte Erklärungsansätze. Ein einzelner Pathogenesemechanismus kann das RDS nicht beschreiben. Vielmehr lässt es sich durch ein Zusammenwirken von physiologischen und psychosozialen Verhaltens- und Umweltfaktoren beschreiben [1].

Veränderungen der Transitzeit und der Darmmikrobiota

In Patienten mit RDS sind Störungen der Dünn- und Dickdarmmotilität beschrieben, d. h. die Kolontransitzeit ist entweder beschleunigt oder verlangsamt. Störungen des Mikrobioms und bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarms sind ebenfalls dokumentiert. RDS-Patienten weisen, im Vergleich zu gesunden Kontrollen, sowohl hinsichtlich der Qualität als auch hinsichtlich der Quantität eine andere Zusammensetzung der Darmmikrobiota auf. In Stuhlproben wurden einerseits erhöhte Werte für Lactobacillen, Propionsäure und Essigsäure und andererseits erniedrigte Konzentrationen für Bifidobakterien gemessen.

Enterale Entzündungsprozesse

Das IBS ist oft mit einer Störung des enteralen Immungleichgewichts assoziiert. Mikroinflammatorische bzw. neuroimmunologische Prozesse finden in der Darmmukosa statt, dadurch kommt es zu einer lokalen Zunahme von verschiedenen Immunzellen (z. B. Mastzellen, T-Lymphozyten). Auch Stress kann eine chronische Aktivierung des Immunsystems bedingen. Leichte Entzündungsprozesse in der Darmmukosa erhöhen nicht nur die Mastzelldichte, sondern auch die Histaminfreisetzung.

Störungen im zentralen Nervensystem

Durch abnorme Serotoninwerte im Magen-Darm-Trakt kann die Regulation des zentralen Nervensystems (ZNS) gestört und eine gesteigerte Stressreaktion sowie ein gesteigertes Schmerzempfinden im Bauchbereich ausgelöst werden. Die verstärkte Innervation der Darmschleimhaut hat eine Sympathikus-Aktivierung zur Folge. Die erhöhte Sympathikus-Aktivität könnte einen höheren Stresslevel verursachen. Jedoch ist ein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen psychischem Stress und der Entstehung des IBS bei Erwachsenen nicht belegt: Stress als Cofaktor für Entstehung bzw. Aufrechterhaltung der Beschwerden ist allerdings möglich.

Erhöhte Darmpermeabilität

Zudem wurde in Dickdarmbiopsien der Betroffenen eine veränderte Permeabilität der Mukosa festgestellt. Die Kolonschleimhaut zeigt erhöhte Proteasenaktivität, die auf eine Aktivierung von Trypsin zurückzuführen ist. Dadurch wird das Tight-Junction-Protein Occludin intensiver abgebaut und die Schleimhautpermeabilität erhöht. Das veränderte Schleimhaut-Mediatorprofil bewirkt eine Aktivierung des enterischen Nervensystems und somit kommt es zu einer Nervenfaserverdichtung. Die gesteigerte spinale Weiterleitung intestinaler Reize verstärkt die Aktivierung von Zentren im ZNS.

Weitere Trigger

Andere Faktoren, welche die Symptome des IBS triggern können, sind z. B. Alterationen enteroendokriner Botenstoffe, epigenetische und psychosomatische Faktoren oder enteraler Infekte (bakterielle und virale Gastroenteritis).

Quellenangabe

[1] Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten  (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM), aufgerufen am 05.10.2021

[2] Sperber AD, Bangdiwala SI, Drossman DA, Ghoshal UC, Simren M, Tack J, Whitehead WE, Dumitrascu DL, Fang X, Fukudo S, Kellow J, Okeke E, Quigley EMM, Schmulson M, Whorwell P, Archampong T, Adibi P, Andresen V, Benninga MA, Bonaz B, Bor S, Fernandez LB, Choi SC, Corazziari ES, Francisconi C, Hani A, Lazebnik L, Lee YY, Mulak A, Rahman MM, Santos J, Setshedi M, Syam AF, Vanner S, Wong RK, Lopez-Colombo A, Costa V, Dickman R, Kanazawa M, Keshteli AH, Khatun R, Maleki I, Poitras P, Pratap N, Stefanyuk O, Thomson S, Zeevenhooven J, Palsson OS. Worldwide Prevalence and Burden of Functional Gastrointestinal Disorders, Results of Rome Foundation Global Study. Gastroenterology. 2021 Jan;160(1):99-114.e3. doi: 10.1053/j.gastro.2020.04.014. Epub 2020 Apr 12. PMID: 32294476.